Friday, February 22. 2013
Beinahe hätte ich es vergessen, hätte mich nicht Michael Kühnert mit einer Anfrage für seinen Blogartikel daran erinnert: Heute ist es auf den Tag genau 10 Jahre her, daß ein paar Unentwegte aus dem Umfeld der Usenet-Hierarchie de.etc.bahn.* zusammen mit mir den Versuch wagten, etwas vorher noch nie Dagewesenes zu erreichen: Wir wollten alle (damals) 166 S-Bahn-Haltestellen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr mit VRR-Verkehrsmitteln anfahren - innerhalb eines (Betriebs-)Tages.
Quelle der Inspiration für diese ziemlich verrückte Idee war ein Buch: In "Auf ganzer Linie" von Keith Lowe muß der Protagonist innerhalb eines Tages alle (damals) 265 Stationen des Londoner U-Bahn-Netzes erreichen, um an die nötigen Unterlagen für seine Hochzeit zu kommen, die am nächsten Tag stattfinden soll. Als ich das Buch in die Hände bekam, hatte ich gerade mein 1. Staatsexamen bestanden und somit viel Zeit. Und so entstand auf einigen Straßenbahnfahrten zur Arbeit in Düsseldorf erst die Idee und dann der Fahrplan - ganz klassisch mit Fahrplanbuch und auf Karopapier. Und er sah gut aus - aber würde er in der Praxis auch funktionieren?
Ab 4:34 Uhr (und damit gleich mit einer Minute Verspätung) an einem eisigen Samstagmorgen in Düsseldorf Hbf lief die Uhr, und 19 Stunden und 33 Minuten später standen wir in Solingen-Ohligs (heute Solingen Hbf) und wußten: Es hatte funktioniert!
Trotz Verspätungen, Revier-Fußballderby und einer Demonstration, die für die Sperrung eines Haltepunktes sorgte. Details lassen sich in diesem Usenet-Thread finden, dessen Artikel damals teilweise live entstanden, und auch hier steht ein bißchen dazu geschrieben, u.a. mit einem Soll-Ist-Vergleich des damaligen Fahrplans.
Tja, und heute, 10 Jahre später? Mein Leben ist ziemlich anders verlaufen, als ich es mir damals vorgestellt habe. Der Kontakt zu den damaligen Mitfahrern ist über die Jahre verloren gegangen (und mindestens einer ist vermutlich inzwischen gestorben). Aber es bleiben die Erinnerungen an eine verrückte Idee und ihre Durchführung. An eine Thermosflasche mit heißem Tee, einen Sonnenaufgang im eiskalten und menschenleeren Haltepunkt "Dormagen Bayerwerk", einen hektischen (und letztlich doch erfolglosen) Sprint durch Dortmund Hbf voller Menschen. An das Gefühl "es könnte klappen", als wir im Düsseldorfer Flughafen standen, und an die Freude, als in Solingen-Ohligs das letzte Mal der Entwerter stempelte und der letzte Haltepunkt abgestrichen wurde. An 19 Stunden und 33 Minuten in Zügen und auf Bahnhöfen mit einem Haufen von Menschen, die ich ohne das Netz nie getroffen hätte und die den Mut hatten, etwas Verrücktes einfach zu machen.
Weil sie sehen wollten, ob es geht.
Den VRR-Plan mit den abgestrichenen Stationen und den Unterschriften der Mitfahrer halte ich in Ehren, ebenso wie die Stempelkärtchen, die Fotos und die Ausgabe von "Bus & Bahn" in der über unsere Tour berichtet wurde. Und den Plüsch-Tiger natürlich, das "inoffizielle Maskottchen", wie es in der Zeitschrift hieß.
(Und nein, ich habe danach nie wieder so eine Tour gemacht, in keinem der vielen Verbünde, in denen ich so unterwegs war. Aber manchmal erwische ich mich trotzdem bei dem Gedanken: "Eigentlich müßte man mal probieren, ob...")
Monday, November 9. 2009
... saß ich vermutlich mit meinen Eltern beim Abendessen, in einem kleinen westfälischen Dorf. Weit weg von der DDR, noch viel weiter weg von Berlin. Ohne Bindungen dorthin, sieht man einmal davon ab, daß meine Klasse sich für das nächste Jahr eine Klassenfahrt nach Berlin (West) ertrotzt hatte.
Natürlich hatte ich mitbekommen, daß da in der DDR irgendetwas im Gange war. Ich interessierte mich für Politik, las Zeitung, hörte Radio und schaute die Nachrichten im Fernsehen. Daß sich etwas änderte, das war für jeden klar, der mit offenen Augen durch die Gegend ging. Nur die Richtung, die war nur sehr grob erkennbar, wenn überhaupt. Und die rasante Beschleunigung der Entwicklung war nicht einmal zu erahnen. Ich erinnere mich an eine Aussage meines Vaters, der Krieg, Vertreibung und Teilung am eigenen Leib erfahren hatte, in diesem Sommer: "Wenn ihr Glück habt, wird eure Generation die Wiedervereinigung vielleicht noch erleben. Ich mit Sicherheit nicht mehr." Damals war er 58.
So richtig klar, daß da gerade etwas Weltbewegendes passiert war, wurde es mir erst am nächsten Morgen. In der ersten Stunde hätten wir Mathe gehabt, bei unserem Klassenlehrer. Er kam rein, schloß die Tür, legte das Buch auf den Tisch, und nach dem üblichen "Guten Morgen" sah er uns an und meinte: "Wenn ihr glaubt, daß wir jetzt Mathe machen, dann habt ihr euch geirrt. Es ist etwas passiert, über das wir reden müssen." Und das haben wir dann auch, die ganze Mathestunde lang.
Am Nachmittag habe ich dann auch die Bilder gesehen. Bei einem Freund in einem anderen Ort, den ich häufiger nach der Schule besucht habe. Normalerweise waren wir viel draußen unterwegs, aber an diesem Tag haben wir sehr lange vor dem Fernseher gesessen. Es hat lange gedauert, bis wir richtig begriffen haben, was da eigentlich gerade passierte.
Im Januar 1990 muß es gewesen sein, als ich im Fernsehen gesehen habe, wie östlich von Ratzeburg ein neuer Grenzübergang geöffnet wurde. An einer Stelle, an der ich 1986 selbst gestanden hatte, wo die Straße auf einmal wie abgeschnitten im Nichts aufhörte. Ein Schlagbaum, dann Rasen, und dann ein großer Zaun. Jetzt fuhren da Autos über eine ganz neue Straße, durch ein Loch im Zaun. Das war vielleicht der Moment, wo ich erst so richtig persönlich begriff, was das alles bedeutete: Daß ziemlich viel von dem, was ich 15 Jahre lang als unumstößlich angesehen hatte, in Zukunft nicht mehr gelten würde.
Nach Berlin sind wir dann gefahren, im August 1990. Es war merkwürdig, die Stadt war nicht mehr geteilt, aber irgendwie trotzdem noch. Von der Mauer habe ich nur noch Reste gesehen - irgendwo muß ich noch eine Tüte mit Bröseln haben, mehr war damals schon nicht mehr da. Aber der kahle Streifen durch die Stadt war noch da, und irgendwie war der Osten... anders.
Seitdem war ich oft in den neuen Bundesländern, habe Freunde dort gefunden, Urlaube verbracht, und vor allem Berlin immer wieder gesehen. Ich bin gerne dort. Und trotzdem, irgendwie halte ich immer noch Ausschau nach Spuren einer Grenze, die heute vor 20 Jahren zu fallen begann. Und auch wenn es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, irgendwas ist immer noch da.
Dinge, die man als Kind gelernt hat, können ganz schön hartnäckig sein.
Thursday, October 30. 2008
In etwas weniger als einer Stunde wird die Anzeigetafel auf dem Foto den letzten Abflug löschen und danach für immer schwarz und leer bleiben. Damit endet der Flugbetrieb auf dem ältesten noch in Betrieb befindlichen Verkehrsflughafen in Deutschland - beeindruckendes Denkmal und Anachronismus zugleich. Es bleibt zu hoffen, daß für Gebäude und Gelände eine sinnvolle, möglichst viel von der Atmosphäre erhaltende Nachnutzung gefunden wird. Die Anwohner werden jedenfalls dankbar sein, keine Flugzeuge mehr über ihren Dächern zu haben...
Mehr Bilder von Tempelhof gibt es bei Isotopp.
Tuesday, June 3. 2008
Im Gedenken an die Opfer des ICE-Unglücks von Eschede, heute vor 10 Jahren - und an die Helfer, haupt- und ehrenamtliche gleichermaßen, die dort eine kaum vorstellbare Leistung vollbracht haben.
Und in der Hoffnung, daß dieses Unglück jedem, der mit Technik umgeht oder über sie entscheidet, egal ob technisch oder kaufmännisch, die eigene und höchstpersönliche Verantwortung für seine Handlungen und Entscheidungen bewußt macht.
Wo Technik katastrophal versagt, hat in den meisten Fällen vorher ein Mensch versagt.
Monday, November 26. 2007
 Am 8. Dezember geht eine Ära zu Ende: Mit der Linie 15 wird die letzte Stuttgarter Meterspur-Straßenbahnlinie auf (Normalspur-)Stadtbahnbetrieb umgestellt. Für den Abschnitt Zuffenhausen - Stammheim bedeutet das zugleich eine zeitweilige Stillegung: Da die Stadtbahnwagen nicht durch die Eisenbahnunterführung an der Zahn-Nopper-Straße passen, wird auf diesem Abschnitt ein Tunnel gebaut, und dieser Bau dauert einige Zeit.
Mit dem Ende der Linie 15 geht auch die Ära der GT 4 zu Ende. Bei der Inbetriebnahme 1959 zuerst als viel zu große Monsterkonstruktion gescholten, sind die Straßenbahnwagen in den vergangenen 48 Jahren zu einem Stuttgarter Wahrzeichen geworden. Die Hoffnung des Herstellers, mit dem speziell für Stuttgart konstruierten Fahrzeug auch bei anderen Verkehrsbetrieben ins Geschäft zu kommen, erfüllten sich kaum. Nur Freiburg, Reutlingen und Neunkirchen (Saar) bestellten ähnliche Fahrzeuge, in viel geringeren Stückzahlen. Eine größere Karriere war dem Triebwagen erst als Gebrauchtfahrzeug beschieden: In Stuttgart durch die Umstellung des Netzes auf Normalspur überflüssig geworden, verschlug es sie in diverse deutsche Städte, nach Rumänien und sogar nach Japan. Dort fahren sie zum großen Teil immer noch - unverwüstliche schwäbische Wertarbeit.
Wer die Straßenbahn mit dem typischen Heulen der Fahrmotoren noch einmal im Linienbetrieb in ihrer angestammten Heimat erleben möchte, muß sich allerdings beeilen: Am 8. Dezember fährt um 12 Uhr die erste U 15, und um 22:10 Uhr wird in Stammheim die endgültig letzte Straßenbahn der Linie 15 ohne U verabschiedet. Danach werden die GT 4 nur noch als Museumsexemplare zu erleben sein - oder eben in mehr oder weniger östlichen Gefilden.
Auch wenn die Stadtbahn für die Fahrgäste, die täglich mit ihr fahren, mit Sicherheit ein großer Fortschritt in Sachen Komfort ist (und für manche die Nutzung dieser Linie überhaupt erst möglich wird - 1959 dachte man noch nicht an behindertengerechte Konstruktionen) - irgendwie wird mir etwas fehlen, wenn keine 15 mehr am Hauptbahnhof durch die engen Kurven quietscht, am Charlottenplatz am Hochbahnsteig vorbeiheult oder zur Ruhbank emporklettert...
|
Kommentare