Beinahe hätte ich es vergessen, hätte mich nicht Michael Kühnert mit einer Anfrage für
seinen Blogartikel daran erinnert: Heute ist es auf den Tag genau 10 Jahre her, daß ein paar Unentwegte aus dem Umfeld der Usenet-Hierarchie de.etc.bahn.* zusammen mit mir den Versuch wagten, etwas vorher noch nie Dagewesenes zu erreichen: Wir wollten alle (damals) 166 S-Bahn-Haltestellen des
Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr mit VRR-Verkehrsmitteln anfahren - innerhalb eines (Betriebs-)Tages.
Quelle der Inspiration für diese ziemlich verrückte Idee war ein Buch: In
"Auf ganzer Linie" von Keith Lowe muß der Protagonist innerhalb eines Tages alle (damals) 265 Stationen des Londoner U-Bahn-Netzes erreichen, um an die nötigen Unterlagen für seine Hochzeit zu kommen, die am nächsten Tag stattfinden soll. Als ich das Buch in die Hände bekam, hatte ich gerade mein 1. Staatsexamen bestanden und somit viel Zeit. Und so entstand auf einigen Straßenbahnfahrten zur Arbeit in Düsseldorf erst die Idee und dann
der Fahrplan - ganz klassisch mit Fahrplanbuch und auf Karopapier. Und er sah gut aus - aber würde er in der Praxis auch funktionieren?
Ab 4:34 Uhr (und damit gleich mit einer Minute Verspätung) an einem eisigen Samstagmorgen in Düsseldorf Hbf lief die Uhr, und 19 Stunden und 33 Minuten später standen wir in Solingen-Ohligs (heute Solingen Hbf) und wußten: Es hatte funktioniert!
Trotz Verspätungen, Revier-Fußballderby und einer Demonstration, die für die Sperrung eines Haltepunktes sorgte. Details lassen sich in
diesem Usenet-Thread finden, dessen Artikel damals teilweise live entstanden, und auch
hier steht ein bißchen dazu geschrieben, u.a. mit einem Soll-Ist-Vergleich des damaligen Fahrplans.
Tja, und heute, 10 Jahre später? Mein Leben ist ziemlich anders verlaufen, als ich es mir damals vorgestellt habe. Der Kontakt zu den damaligen Mitfahrern ist über die Jahre verloren gegangen (und mindestens einer ist vermutlich inzwischen gestorben). Aber es bleiben die Erinnerungen an eine verrückte Idee und ihre Durchführung. An eine Thermosflasche mit heißem Tee, einen Sonnenaufgang im eiskalten und menschenleeren Haltepunkt "Dormagen Bayerwerk", einen hektischen (und letztlich doch erfolglosen) Sprint durch Dortmund Hbf voller Menschen. An das Gefühl "es könnte klappen", als wir im Düsseldorfer Flughafen standen, und an die Freude, als in Solingen-Ohligs das letzte Mal der Entwerter stempelte und der letzte Haltepunkt abgestrichen wurde. An 19 Stunden und 33 Minuten in Zügen und auf Bahnhöfen mit einem Haufen von Menschen, die ich ohne das Netz nie getroffen hätte und die den Mut hatten, etwas Verrücktes einfach zu machen.
Weil sie sehen wollten, ob es geht.
Den VRR-Plan mit den abgestrichenen Stationen und den Unterschriften der Mitfahrer halte ich in Ehren, ebenso wie die Stempelkärtchen, die Fotos und die Ausgabe von
"Bus & Bahn" in der über unsere Tour berichtet wurde. Und den Plüsch-Tiger natürlich, das "inoffizielle Maskottchen", wie es in der Zeitschrift hieß.
(Und nein, ich habe danach nie wieder so eine Tour gemacht, in keinem der vielen Verbünde, in denen ich so unterwegs war. Aber manchmal erwische ich mich trotzdem bei dem Gedanken: "Eigentlich müßte man mal probieren, ob...")
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